Luiz de Camoens

1524 - 1579

 

In Übersetzungen von

Wilhelm Storck

 

 

Gleiches Loos

 

Das zarte Vöglein putzt und glättet rege

Und üppig mit dem Schnabel sein Gefieder,

Und dann mit süßer Kehle singt es wieder,

Kunstlos und froh, vom Ast im Waldgehege;

 

Der rauhe Waidmann läßt von seinem Wege,

Schleicht unbemerkt herzu und duckt sich nieder;

Er zielt und trifft’s; es reckt die starren Glieder

Und fährt hinunter zu des Orkus Stege;

 

So ward das Herz, sorglos und ohne Trauer –

Zwar längst vom Schicksal war’s ihm zugemessen –

Verwundert dorther, wo mich nichts geschreckt:

 

Der blinde Schütz nahm Hinterhalt und Lauer,

Daß er mich arglos fänd’ und selbstvergessen,

In euren schönen Augen schlau versteckt.

 

 

 

Mariä Geburt

 

Die Morgenröt’ erglänzt mit holdem Scheine

Und bringt vom lichten Tag ersehnte Kunde;

Ihr Menschen, schmückt euch und, Gesäng’ im Munde,

Des Lebens Botin grüßt im Festvereine;

 

Des Heils Vermittlerin erscheint, die reine;

Zujauchzt, ihr Engel, der beglückten Stunde:

Bald nah’n Genossen euch vom Erdengrunde,

Und Himmelslust gewinnt die Weltgemeine;

 

Die menschliche Natur erstaunt, und schrecken

Befällt die Höll’ ob solch erhab’nem Weibe,

An dem sie keinen Makel kann entdecken;

 

Sie fragt sich, wo der Sünde Fluch verbleibe; -

Fern hielt der Satzung Herr den kleinsten Flecken

Von seinem Heiligtum, der Mutter Leibe.